26.12.2012, 15:35 Uhr Robert
BW-Meister [Administrator]
|
Hallo Zusammen,
da ich selber jahrelang vor dem Problem stand und sehr viel Mühe hatte die richtigen Parameter (Vorschub, Drehzahl, Zustellung) für das Fräsen zu ermitteln, möchte ich mal meine Erfahrungen und Einstellwerte für Kunststoff (Polystyrol) zum besten geben.
Im Grunde kann man die Fräserberechnung auf vier einfache Erkenntnisse reduzieren.
=> Größe des Spans im Verhältniss zur Schneide ist konstant bei ca. 2% bis 3% des Fräserdurchmessers
max. Vorschub = (Drehzahl * Anzahl_Schneiden) * (Fräserdurchmesser * ~0,025 )
=> die ideale Zustellung (Eintauchtiefe) des Fräsers beträgt maximal ~ 150% des Fräserdurchmessers
max. Zustellung = Fräserdurchmessers * 1,5
=> Je größer die Gegenkraft, desto schlechter die Tolleranzen
=> Ist die Gegenkraft zu groß, bricht der Fräser ab ... oder das Fräsportal verliert Schritte und fräst anschließend um mehrere Millimeter versetzt weiter.
Erklärung:
Es gibt mehre Effekte, die bei Fräsen eine entscheidende Rolle spielen
1.) Die Geschwindigkeit, mit der die Schneide durch das Material fährt
Wie schnell die Scheide durch das Material fährt, wird bei einem Fräser bestimmt durch die Drehzahl der Spindel, dem Durchmesser des Fräsers und der Vorschubgschwindigkeit.
Je größer die Drehzahl ist, desto größer ist die Umlaufgeschwindigkeit der Schneide.
Je größer der Fräser im Durchmesser ist, des desto größer ist die Umlaufgeschwindigkeit der Schneide bei gleicher Drehzahl.
Die Vorschubgeschwindigkeit ist im Vergleich zur Umlaufgeschwindigkeit verschwindend gering und kann daher vernachlässigt werden.
Je höher die Geschwindigkeit der Schneide im Material ist, desto mehr Reibungshitze entsteht an der Schneide.
Diese Reibungshitze kann entweder nur durch passive oder zusätzlich durch aktive Kühlung abgeleitet werden.
Passive Kühlung = Temperatur wird durch den Fräserschaft, die Späne und das Werkstück abgeleitet
Aktive Kühlung = Temperatur wird durch Kühlmittel wie Pressluft, Spiritus oder Wasser abgeleitet
Überschreitet die Reibungshitze einen bestimmten Wert (= die Schmelztemperatur des Werkstücks), dann wird das Material nicht mehr geschitten, sondern das flüssige Material verschmiert die Schneide des Fräsers.
Überschreitet die Reibungshitze einen bestimmten Wert (= die Temperatur zum Weichglühen von Stahl), dann wird die Schneide stumpf und erzeugt nochmehr Reibungshitze, was dann zum Wegbrennen der Schneide führt.
Zusätzlich erzeugt die Reibung eine Gegenkraft auf die Fräse, die das gesamte Fräsportal verbiegt und somit die Tolleranzen beim Fräsen verschiebt.
=> Je höher die Scheidgeschwindigkeit, desto größer die Gegenkräfte, desto schlechter die Tolleranzen
=> "Geschwindigkeit der Schneide" ist eine Obergrenze, die nach oben nicht überschritten werden darf
Mein persönliche Erfahrung beim Fräsen von Kunststoffen hat gezeigt, daß die Temperaturen an der Schneide nicht sehr groß werden und somit die Schneide keinen Schaden nimmt. Daher kann man beim Fräsen von Kunststoffen wirklich "Vollgas" geben.
Vollgas heist bei mir: Die 0,4mm und 1mm Einzahn-Fräser fräsen mit ca. 29.000 U/min
2.) Die dicke des Spans und die Geometrie der Schneide
Bei jedem Schnitt des Fräsers wird ein Span von dem Werkstück abgeschnitten. Damit die Schneide durch das Material gleiten kann, muß der Span beim schneiden zusätzlich umgeformt (=verbogen) werden. Diese Umformung produziert ebenfalls Wärme, was zu den oben genannten Temperaturproblemen führt.
Ebenfalls entstehen durch das Umformen den Spans Gegenkräfte an der Fräse, die die Tolleranzen beim Fräsen verändern.
=> Je dicker der Span, desto größer die Gegenkräfte beim Umformen, desto schlechter die Tolleranzen
Der Span, der von der Schneide abgeschnitten wird, muß innerhalb von einer Umdrehung des Fräsers von der Scheide entfernt werden, um an der Schneide wieder Platz zu schaffen für den nächsten Span der geschnitten werden soll. Aus diesem Grunde gibt es bei den Fräsern eine Span-Nut vor der Schneide, die den Span aufnimmt und nach hinten/oben abtransportiert. Ist die Spannut verstopft, fängt das Material an zu schmieren und die Gegenkraft am Fräsportal nimmt dramatisch zu. Dadurch stimmen die Tolleranzen nicht mehr und im extremfall bricht der Fräser ab.
=> Die Spangröße pro Schnitt ist eine Obergrenze, damit die Spannut nicht verstopft
Meine persönlichen Erfahrungen mit dem Fräsen von Kunsstoff haben gezeigt, das der Idealwert für die Spangröße unabhängig vom Fräserdurchmesser bei ca. 2% bis 3% des Fräserdurchmessers liegt. Bei einschneidigen Fräsern eher Richtung 3%, bei zweischneidigen Fräsern Aufgrund der kleineren Spannut eher Richtung 2% des Fräserdurchmessers pro Schnitt liegt. Daher kann man die Vorschubgeschwindigkeit relativ einfach mit folgender Formel berechnen
=> max. Vorschub = (Drehzahl * Anzahl_Schneiden) * (Fräserdurchmesser * ~0,025 )
3.) Zustellung (=Eintauchtiefe) des Fräsers pro Schnitt.
Die Zustellung bestimmt, wie tief der Fräser ins Material der Werkstückes eintaucht, und damit, wie breit der geschnittene Span wird. Je breiter der Span wird, desto größer sind die Reibungs- und Umformkräfte um den Span vom Werkstück abzuschneiden.
=> Je größer die Zustellung, desto größer die Gegenkräfte, desto schlechter die Tolleranzen.
Es gibt zwei unterschiedliche Situationen beim Fräsen, die gesondert betrachtet werden müssen:
Der Fräser fräst die allererste Bahn im Werkstück. Dabei entsteht eine Nut im Material, der den Abtransport der Späne nur nach oben und hinten aus der Nut zulässt. Außerdem schneidet der Fräser über die gesamte Breite des Fräsers Späne vom Werkstück ab.
Wegen der größeren Schnittlänge entstehen in diesem speziellen Fall besonders große Gegenkräfte, was die Tolleranzen zusätzlich verschlechtert.
Da die Späne in diesem speziellen Fall nur nach oben und hinten abtransportiert werden können, ist die Gefahr der Verstopfung der Spannut am Fräser besonders groß. Daher sollte man die Zustellung nicht zu groß wählen, damit der Abtransport der Späne nach oben erleichtert wird.
=> Die Zustellung liegt in diesem Fall idealerweise bei etwa ~150% des Fräserdurchmessers.
Der Fräser fräst eine weitere Bahn in das bereits angeschnittene Werkstück. Dabei wird nur ein Teil der Fräserbreite geschnitten (üblicherweise ~65% Fräserdurchmesser). Außerdem können die Späne sowohl nach oben, nach hinten, als auch zur Seite abtransportiert werden.
In diesem Fall sind die Fräsparameter deutlich unkritischer als im ersten Fall. Die Zustellung kann hier deutlich größer gewählt werden. Aus meiner persönlichen Erfahrung kann die Zustellung hier bis zu ~250% des Fräserdurchmessers betragen. Dies hängt wegen der Gegenkräfte und der schlechteren Tolleranzen natürlich auch von der Steifigkeit des Fräseres und der verwendten Fräse ab. Da man aber in der Regel bei der Erstellung der Fräsdaten keine Unterscheidung zwischen den beiden Fällen machen kann, sollte man zur Sicherheit die Parameter des kritischern ersten Falles verwenden.
Anmerkung zum Thema Frässpindel (Fräsmotor):
Nicht jede Frässpindel ist zum Fräsen von Kunsstoff geeignet !!!
Da die termoplastischen Kunststoffe eine relativ niedrige Schmelztemperatur von ~150° haben, neigen sie sehr schnell zum Schmieren am Fräser. Leider haben einige Frässpindeln (speziell Billigmodelle aus dem Baumarkt) ein sehr schlechtes Temperaturmanagement des Motors. Dabei entstehen recht hohe Motortemperaturen, die durch schlechte Kühlung durch die Motorwelle in das Spannfutter und damit auch in den Fräskopf wandern. Solche Frässpindeln sind für das Fräsen von termoplastischen Kunststoffen weniger geeignet, das sie trotz zusätzlicher Kühlung (Pressluft, Spiritus) sehr schnell zum Schmieren der Kunststoffe neigen. Feststellen kann man das, indem man die Spindel ohne Kühlung ca. 10 Minuten im Leerlauf laufen läst und anschließen die Temperatur am Spannfutter überprüft. Sollte die Temperatur unerträglich heiß sein, ist die Frässpindel nicht geeigent zum Fräsen von termoplastischen Kunststoffen und sollte gegen eine bessere Frässpindel getauscht werden.
Gruß Robert
|
|
Beitrag 5 mal editiert. Zuletzt editiert von Robert am 26.12.2012 15:47.
|
|
|